Erbrecht für Dortmund und Umgebung

 

Pflegen und Erben

I.  Das Problem

 

Im Jahre 2010 hat der Gesetzgeber einen Missstand zu beseitigen versucht, den man zu Recht in Folgendem sah:

Viele Angehörige haben ihre Verwandten – teilweise über Jahre – (aufopfernd) gepflegt und dies wurde weder durch eine Vergütung abgegolten, noch in sonstiger Weise belohnt. Zum Schluss ging dann der Nachlass der gepflegten Person an alle Erben ohne Differenzierung für die pflegende Seite.

 

Der Gesetzgeber hat dann den § 2057a BGB geschaffen, der hier Abhilfe schaffen sollte, indem ein Abkömmling, der z. B. einen Elternteil pflegt oder für das Vermögen in besonderer Weise gesorgt hat, dann bei der Auseinandersetzung des Nachlasses eine Ausgleichung verlangen könne. Die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen sind wegen der Einbindung in andere Vorschriften des Erbrechtes relativ komplex. Man muss auch davon ausgehen, dass im Normalfall der juristische Laie dazu anwaltliche oder notarielle Unterstützung benötigt, um seine Rechte durchzusetzen. Dies wird allein schon dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber diesen „Bonus“, den der Pflegende erhalten soll, nach dem Maßstab der „Billigkeit“ vorgesehen hat. Dies ist dann ein relativ schwieriger, juristischer Abwägungsprozess. Einige Aspekte dieser in der Praxis durchaus wichtigen Vorschrift hat der Bundesgerichthof (BGH) in einem Beschluss vom 24.03.2021 (Az.: IV ZR 269/20) behandelt.

 

Es ging darum, dass die im Jahre 2017 verstorbene Erblasserin in ihrem notariellen Testament vom 31.08.2015 einen Sohn als Alleinerben eingesetzt hatte, weil er – wie es in der Urkunde auch hieß – seit dem Jahre 2007 ihre Pflege und Betreuung übernommen hatte. Er habe sich ebenfalls um viele Aspekte des Haushaltes gekümmert.

 

Die Angelegenheit wurde streitig, weil eines der beiden anderen Kinder, die ja insoweit durch das Testament auf den Pflichtteil gesetzt waren, eine höhere Zahlung aus dem Nachlass nach der Mutter verlangte. Der Erbe machte dabei geltend, ihm stünde der Ausgleichungsanspruch nach § 2057a BGB zu.

 

II.  Die Entscheidung des BGH:

 

Der BGH kommt zu folgenden Erkenntnissen für die Ausgleichungspflicht, die übrigens nicht dazu führt, dass ein separater Zahlungsanspruch entsteht, sondern lediglich, dass die Quote aus dem Erbteil zugunsten des Berechtigten verändert wird.

 

a)

Die erste Fragestellung des BGH war, ob diese gesetzliche Regelung vom Erblasser überhaupt geändert werden kann. Der BGH geht davon aus, dass die den Pflegenden begünstigende Ausgleichung durch Verfügung von Todes wegen, d. h. Testament oder notarieller Erbvertrag, gemindert oder sogar ausgeschlossen werden kann.

 

Diese Haltung erscheint mir persönlich im Hinblick auf den Schutzcharakter des § 2057a BGB bedenklich. Dies ist aber die jetzt geltende Rechtsprechung und muss von allen – auch von Pflegenden – berücksichtigt werden.

 

Der BGH begründet dies damit, dass der Gesetzgeber die Norm geschaffen habe, um die Situation derjenigen zu verbessern, die durch ein Testament keine besondere Zuwendung erhalten. Wenn aber der Erblasser zu erkennen gegeben hat, er wolle eine derartige – in vielen Fällen auch sicherlich gerechte – Verbesserung der Situation nicht, könne der Erbe nicht bessergestellt werden.

 

Im Übrigen sei es auch nicht sittenwidrig, wenn der Erbe dann nicht mehr bekäme. Derartiges sei nur in äußersten Extremfällen denkbar.

 

b)

Der BGH geht dann für den konkreten Einzelfall auf die Frage ein, was denn hier wohl der Wille der Erblasserin gewesen sei. Dabei breitet er noch einmal den Grundsatz aus, dass bei der Testamentsauslegung vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen sei und man nicht unbedingt an den wortwörtlichen Erklärungen jeweils haften bleiben dürfe. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke des Erblassers – z. B. in einem Testament – müsse gewissermaßen „hinterfragt“ werden, um den richtigen Willen für eine Entscheidung auch festzuhalten.

 

Dieser Grundsatz wird häufig übersehen. Der BGH lässt es dabei zu, dass auch Gesichtspunkte, die in einem notariellen Testament nur mit wenigen – Worten gestreift wurden, dann zum Anlass genommen werden, das Testament insgesamt zu interpretieren. In aller Regel wird allerdings erwartet, dass zumindest eine Andeutung im jeweiligen Testamentstext aufgefunden wird. Dabei können dann aber auch Zeugen etwas zum Wunsch der Beteiligten aussagen. Es ist für einen Anspruchssteller im Erbrecht immer sehr wichtig, genau zu sehen, welche Umstände seine Position begünstigen können.

 

Insoweit ist es möglich, dass ein Erblasser den Pflegenden – auch wenn er Alleinerbe wird – noch im Wege eines besonderen Vermächtnisses bedenkt bzw. klar erklärt, was bei einer testamentarischen Regelung sicherlich sehr wünschenswert ist, dass z. B. auch die Ausgleichung für die geleisteten Dienste nach § 2057a BGB erfolgen soll. Es ist aber auch möglich, dass z. B. ein gewisser Geldbetrag oder eine Zusatzquote vom Erblasser wegen der geleisteten Dienste (bis an die Grenze des Pflichtteils für etwaige sonstige Erben) im Testament als Anspruch für den Pflegenden festgelegt wird.

 

Im konkreten Einzelfall hat der BGH hier angenommen, dass mangels entsprechender Ausführungen im Testament und der Tatsache, dass ja die Erläuterungen zur Stellung als Alleinerbe mit dem Hinweis auf die Pflegeleistungen und sonstigen fürsorglichen Maßnahmen ein ausreichender Anlass sei, die Ausgleichung nach § 2057a BGB auszuschließen. Wessen Anspruch ganz besonders begründet wird, bei dem wird angenommen, dass eben die sonstigen Leistungen damit ausgeschlossen waren.

 

Insoweit wäre es allerdings in jedem Falle besser gewesen, dass diese Fragestellung im Testament ausdrücklich auch zu § 2057a BGB angesprochen wird. Jedenfalls erhielt der betreffende Sohn wegen seiner Stellung als Alleinerbe dann nicht mehr die Zusatzleistung.

 

 

III.    Fazit

 

1.

Solange es möglich ist, sollten innerhalb einer Familie erbrechtliche Regelungen miteinander „vorbesprochen“ werden. Dies verhindert nachher Überraschungen und Ärgerlichkeiten. Es gibt auch die Möglichkeit der Begründung z. B. für eine fehlende Ausgleichung, wie im Fall des BGH.

 

Die Besprechung derartiger Schritte ist natürlich nach den familiären Umständen des Einzelfalls zu bedenken.

 

2.

Ein Erblasser sollte darauf achten, dass der Text des Testamentes oder des notariellen Erbvertrages stets möglichst präzise und für alle (Beteiligten) mit einer nachvollziehbaren und verständlichen Begründung abgefasst wird. Die Begriffe müssen so verwandt werden, dass sie auch für andere Personen klar sind und nicht noch zu einem „Rätselraten“ führen.

 

Gerade der vorliegende Fall verdeutlicht, wie wichtig dies ist, um auch überflüssige rechtliche Streitigkeiten vor Gericht zu vermeiden. Dabei ist es eben auch geboten, mit dem Notar auf die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls und eine Begründung für gewisse Schritte, wie etwa ein Vermächtnis oder besondere finanzielle Leistungen einzugehen.

 

3.

Im Zweifel verbessert es auch die nachherige, richtige Interpretation des jeweiligen letzten Willens, wenn der Text auch juristisch korrekt abgefasst wird. Dabei wollen Sie bitte bedenken, dass eben ein solches Testament dann von Juristen interpretiert wird, die ihren „normalen“ Sprachgebrauch zugrunde legen. Begriffe wie „Nacherbe/Schlusserbe“ oder „Vorerbe“ sind für den Juristen feststehende Kategorien. Der Laie mag darunter etwas anderes verstehen.

 

Selbstverständlich stehen wir Ihnen gern mit Rat und Tat jederzeit auch bei erbrechtlichen Fragestellungen und Problemen, auch zur Abfassung eines letzten Willens zur Seite.

 

 

Fritz-Martin Przytulla LL.M.

– N o t a r –

Dortmund