Der EuGH hat mit Urteil vom 11.06.2015 (Az.: C-266/14) erneut eine Entscheidung zur Arbeitszeit getroffen, die zu einer erheblichen Ausweitung des Arbeitszeitbegriffes auch im deutschen Arbeitszeitrecht führt.

Betroffen sind vor allem solche Unternehmen, die Mitarbeiter im Außendienst beschäftigen und die Mitarbeiter von ihrem Wohnsitz aus unmittelbar – ohne „Zwischenstopp“ in der Firmenzentrale oder in einer Niederlassung – Kunden für Service-, Wartungs- oder andere Arbeiten anfahren.

In diesen Fällen, so der EuGH, sei die direkte Anreise zum Kunden als Arbeitszeit zu werten.

Wie schon bei seinen Entscheidungen zum Bereitschaftsdienst stellt der EuGH wiederum darauf ab, dass der Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 als jede Zeitspanne zu definieren ist, während deren ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt, und dass dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen ist, da beide Begriffe einander ausschließen (Urteile Jaeger, C‑151/02, Rn. 48, Dellas u. a., C‑14/04, Rn. 42, sowie Beschlüsse Vorel, C‑437/05, Rn. 24, und Grigore, C‑258/10, Rn. 42).

Diese Voraussetzungen – so der EuGH – seien in dem entschiedenen Fall erfüllt, weil

die Fahrten von Arbeitnehmern zu den von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden das notwendige Mittel seien, damit diese Arbeitnehmer bei den Kunden technische Leistungen erbringen könnten,
die Arbeitnehmer während dieser Fahrten den Anweisungen ihres Arbeitgebers unterstünden, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen könne. Jedenfalls hätten die Arbeitnehmer während der erforderlichen Fahrzeit nicht die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen, so dass sie demnach ihren Arbeitgebern zur Verfügung stünden,
bei einem Arbeitnehmer, der keinen festen Arbeitsort mehr hat und der seine Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahrnehme, auch davon auszugehen sei, dass er während dieser Fahrt arbeite. Denn die Fahrten gehörten untrennbar zum Wesen eines Arbeitnehmers, der keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort habe, so dass der Arbeitsort solcher Arbeitnehmer nicht auf die Orte beschränkt werden könne, an denen sie bei den Kunden ihres Arbeitgebers physisch tätig würden.

Die Entscheidung wirkt sich unmittelbar auf das deutsche Arbeitszeitrecht aus, weil Art. 2 der Arbeitszeitrichtlinie der EU zu den Vorschriften gehört, von denen nicht abgewichen werden darf.

Die Arbeitsgerichte werden bei zukünftigen Streitigkeiten also ihren Entscheidungen den Arbeitszeitbegriff zu Grunde zu legen haben, der vom EuGH für diese Fälle jetzt entwickelt worden ist.

Die Anrechnung der Fahrtzeiten zu den Kunden hat natürlich zur Folge, dass diese bei der Berechnung der nach deutschem Recht zulässigen wöchentlichen oder täglichen Arbeits- zeiten (§ 4 ArbZG) und der zwingend einzuhaltenden Ruhezeiten (§ 5 ArbZG) zu berück- sichtigen sind. Damit reduziert sich entweder die für den einzelnen Kunden zur Verfügung stehende Servicezeit oder die Anzahl der Kunden, die pro Tag besucht werden können.

 

Fazit:

Diejenigen Arbeitgeber, die Mitarbeiter im Außendienst in der oben beschriebenen Weise einsetzen, werden nunmehr überprüfen müssen, ob bezogen auf diese Mitarbeiter die zwingenden Obergrenzen der zulässigen Arbeitszeit eingehalten werden, wenn die Fahrtzeiten zu den Kunden als Arbeitszeit gewertet werden. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die Einsatzpläne u.ä. entsprechend umgestaltet werden.

Dies ist dringend zu empfehlen, da Verstöße gegen die Bestimmungen des ArbZG zur Höchstdauer der Arbeitszeit Ordnungswidrigkeiten darstellen, die mit empfindlichen Bußgeldern sanktioniert werden können, unter bestimmten Voraussetzungen sogar Straftaten darstellen, die mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafen geahndet werden können.

 

 

RA K.-U. Langer

Source: Archiv Przytulla