1. Der Fall

Die in Spanien ansässige Deutsche Bank SAE, Tochter der Deutschen Bank AG, verwendete dort eine Software zur Arbeitszeiterfassung. Diese berücksichtigte insoweit lediglich ganztätige Fehlzeiten wie etwa Urlaub oder anderweitige freie Tage. Hingegen nicht im System protokolliert wurden die tatsächliche Arbeitszeiten und die damit verbundenen Überstunden der Arbeitnehmer. In einer sog. Verbandsklage wurde dann durch eine Gewerkschaft in Spanien gerichtlich geltend gemacht, die Unternehmung sei verpflichtet, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer einzurichten. Dieses System müsse dabei auch sämtliche Arbeitszeiten protokollieren.

Das spanische Gericht hatte das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, da die EU-Richtlinie 2003/88/EG vorgab, der Arbeitgeber sei für den Gesundheitsschutz des Arbeitsnehmers verantwortlich und müsse die erforderlichen Mittel zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit des Arbeitsnehmers zur Verfügung stellen.

Ob damit die Verpflichtung zur Protokollierung sämtlicher Arbeitszeiten verbunden sei, lag daher in der Entscheidungskompetenz des EuGH.

  1. Die Entscheidung des EuGH

Nach der ganz neuen Rechtsprechung des EuGH (14.05.2019 – C-55/17) müssen Arbeitgeber ein Arbeitszeitdokumentationssystem gewährleisten, das die Arbeitszeiten vollständig erfasst. Es genügt also nicht die bloße Dokumentation der durch den Arbeitnehmer geleisteten Überstunden. Solche zu erfassen, ohne die reguläre Arbeitszeit zu erfassen, war aus praktischer Sicht schon von je her nahezu unmöglich. Nunmehr ist jedoch auch rechtlich Klarheit geschaffen worden.

Der oben genannten Richtlinie ist zu entnehmen, dass die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, damit die maximalen Wochenarbeitszeiten sowie Ruhezeiten eingehalten und dokumentiert werden. Die nun getroffene Entscheidung schränkt den Spielraum des deutschen Gesetzgebers, bezüglich etwaiger Maßnahmen, daher deutlich ein.

Die Mitgliedsstaaten sind nach der neuen Entscheidung gehalten die Arbeitgeber dazu zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und für die beteiligten Parteien einschließlich des Arbeitnehmers zugängliches System einzuführen und aufrecht zu erhalten, mit dem die von einem jedem Arbeitnehmer geleisteten tatsächlichen Arbeitszeiten gemessen werden können. Dies bedeute, dass nicht schon die Protokollierung von Überstunden genüge, sondern vielmehr die vollständige Arbeitszeit erfasst werden müsse. Dies betrifft auch die zeitliche Erfassung von Pausenzeiten. Die konkrete Ausführung des Systems, also die Form des Dokumentationssystems, sei hingegen für den Arbeitgeber, unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse für Arbeitnehmer und Betriebe in Dortmund, frei wählbar.

III. Folgen für die deutsche Arbeitssituation

Die dargestellten Anforderungen können durch z.B. eine Stechuhr, eine digitale Arbeitszeitenerfassung per App oder gar eine Exceltabelle eingehalten werden.

Offengelassen hat der EuGH jedoch, ob die Delegation der Zeiterfassung auf den Arbeitnehmer zulässig ist. Es ist also insoweit nicht entschieden worden, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit der Protokollierung der Arbeitszeiten beauftragen kann.

Folgt man der Argumentation des EuGH’s insoweit, dass der Arbeitnehmer das schwächere Glied im Arbeitsverhältnis ist und insoweit besonders schützenswert dahingehend ist, dass er durch vermeintlich vollständige Erfassung seiner Arbeitszeiten Repressalien durch den Arbeitgeber zu fürchten hat, erscheint eine Delegation auf den Arbeitnehmer als schwierig. Die Protokollierung durch den Arbeitnehmer ist meines Erachtens nach nur möglich, soweit insofern ein Vorabanerkenntnis des Arbeitgebers ergeht, und dieser auch im Nachgang die Protokollierung durch den Arbeitnehmer überwacht. Der Arbeitgeber darf den vom Arbeitnehmer protokolierten Zeiten also dann nur widersprechen, soweit er diese als fehlerhaft darlegen kann. Daher bleibt die Protokollierungspflicht m.E. im Ergebnis bei dem Arbeitgeber.

Fraglich bleibt insoweit auch, ob diese Verpflichtung sämtliche Arbeitgeber trifft. Insbesondere bei Beschäftigten, welche im Rahmen der „Kopfarbeit“ tätig sind, erscheint dies als schwer möglich. Letztlich bedeutet diese Entscheidung, dass auch die etwaige Bearbeitung von z. B. E-Mails am Wochenende protokollierungspflichtig ist. Ob insoweit dem Arbeitgeber zugemutet werden kann auch Arbeitszeit zu protokollieren, die der Arbeitnehmer zuhause erbringt („Homeoffice“), bleibt zweifelhaft, da aus rein praktischer Sicht dies für den Arbeitgeber wohl kaum möglich ist. Insoweit erscheint die Auslegung der EU-Richtlinie durch den EuGH als naiv und praxisfremd.

Dies zeigt auch die innerdeutsche politische Diskussion. Laut einem Bericht der Süddeutsche Zeitung vom heutigen Tage, kündigte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier an, das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshof zunächst nicht umsetzen.

Eine Protokollierung hat jedenfalls immer am Einzelfall zu erfolgen und in Bezug auf die konkreten Verhältnisse des jeweiligen Unternehmens. Auch momentan bestehende Betriebsvereinbarungen sind vor diesem Hintergrund zu prüfen und zu überarbeiten.

  1. Momentane Situation für das Arbeitsrecht in Deutschland

Für alle Beschäftigten in Deutschland gilt, dass sie im Durchschnitt höchstens 48 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. Und innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums müssen mindestens elf zusammenhängende Stunden als Ruhezeit gewährt werden, innerhalb von 7 Tagen zusätzlich 24 Stunden.

Bislang war der Arbeitnehmer jedoch nur verpflichtet die Überstunden zu protokollieren. Nunmehr gilt nach dem Vorgesagten, jede durch den Arbeitnehmer geleistete Stunde ist zu protokollieren.

Gerne stehen wir Ihnen auch in Bezug auf die sich noch immer stellenden Fragen beratend zur Seite. Sie können uns jederzeit telefonisch oder nach Terminabsprache in unseren Kanzleiräumen in Dortmund hierzu kontaktieren.

Dortmund, den 22.05.2019

Anwaltskanzlei Dortmund