Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 08.09.2015 (9 U 131/14) die Grundzüge des Anscheinsbeweises bei Verletzung des Rechtsfahrgebotes bezüglich zweier miteinander kollidierender Motorräder erläutert.

 

Der Entscheidung der OLG Hamm lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Der Kläger befuhr am Unfalltag mit seinem Motorrad die Mittelsorper Straße in Schmallenberg. Aus Sicht des Klägers musste dieser eine Rechtskurve durchfahren. Im Rahmen der Kurvenfahrt geriet der Kläger – was unstreitig ist – auf die Gegenfahrbahn, wo er eine Vollbremsung durchführte. Hierbei kollidierte er mit dem Motorrad des Beklagten. Der Kläger hat behauptet, dass er nur deshalb auf die Gegenfahrbahn gefahren und dort zu einer Vollbremsung veranlasst worden sei, da zunächst der Beklagte das Rechtsfahrgebot verletzt und ihm auf der Fahrbahn des Klägers entgegen gekommen sei. Seine diesbezüglichen Behauptungen konnte der Kläger jedoch auch mittels eines eingeholten unfallanalytischen Sachverständigengutachtens nicht beweisen.

 

Das OLG Hamm hat klargestellt, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden, das weit überwiegende Verschulden auf der Seite des Fahrzeugführers liegt, dessen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot feststeht. Vorliegend hat das OLG Hamm folglich eine Haftungsquote von 75% zu Lasten des Klägers in Ansatz gebracht. Grundsätzlich spricht gegen den Fahrzeugführer, welcher seine Fahrbahn verlässt der Beweis des ersten Anscheins. Es wird daher vermutet, dass dieser Fahrzeugführer den Unfall allein aufgrund der von ihm erfolgten Verletzung des Rechtsfahrgebots verursacht hat. Der Fahrzeugführer, gegen den ein Beweis des ersten Anscheins spricht, hat die Möglichkeit, diesen zu erschüttern, wenn er beweisen kann, dass ein atypischer Geschehensablauf vorliegt. Der Kläger im hiesigen Verfahren hat dies mit der Behauptung versucht, dass er durch den Beklagten, welcher ihm seinerseits auf seiner Fahrbahn entgegen gekommen sei, zu einem Ausweichmanöver auf dessen Fahrbahn veranlasst worden sei. Besonderheit ist jedoch, dass der atypische Geschehensablauf bewiesen sein muss. Die reine Behauptung reicht nicht aus. Kann daher auch mittels eines vom Gericht eingeholten unfallanalytischen Sachverständigengutachtens nicht festgestellt werden, dass ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, bleibt es bei der alleinigen oder weit überwiegenden Haftung desjenigen, dessen Verletzung des Rechtsfahrgebots feststeht.

 

Fazit:

Mit seinem Urteil stellt das OLG Hamm noch mal die Grundzüge zum Anscheinsbeweis dar. Die StVO sieht verschiedene Unfallkonstellationen wie z.B. auch das Auffahren auf einen vorausfahrenden Pkw vor, bei denen das Verschulden eines Verkehrsteilnehmers vermutet wird. Spricht aufgrund einer solchen Konstellation gegen einen Unfallbeteiligten der Beweis des ersten Anscheins, obliegt es diesem, den Gegenbeweis zu erbringen, dass eine atypische Konstellation vorgelegen hat. Diese Grundzüge hat das OLG Hamm mit seinem Urteil bezogen auf das Rechtsfahrgebot noch einmal sehr schön herausgearbeitet.

Source: Archiv Przytulla